Am 27. Oktober jährt sich der Todestag der bedeutenden Physikerin Lise Meitner zum 50. Mal. Vor 80 Jahren machte sie ihre wichtigste Entdeckung: die Kernspaltung. Die beiden Wissenschaftsredakteure Tanja Traxler und David Rennert vom österreichischen "Standard" zeichnen in ihrem gerade erschienenen Buch anhand von Archivmaterial das Leben Lise Meitners nach. An dieser Stelle schreiben sie über die Zeit, die die Forscherin vor allem in Deutschland verbrachte.

Was Lise Meitner durch den Kopf geht, als sie am 1. Januar 1933 zu ihrem Taschenkalender greift, lässt sich nicht rekonstruieren. Im Nachhinein lesen sich die Worte, die sie an diesem Tag notiert, wie bittere Ironie: "Plus ça change, plus c'est la même chose" ("Je mehr sich Dinge ändern, desto mehr bleiben sie dieselben"). Stabil ist die politische Lage in Deutschland schon lange nicht mehr, doch was in den nächsten Wochen und Monaten folgt, ist beispiellos. Nichts im Leben von Lise Meitner wird bleiben, wie es war. Dass sie längst die bedeutendste Physikerin Deutschlands ist, wird sie nicht lange schützen.

In Berlin hat Lise Meitner, die 1878 in eine liberale jüdische Familie in Wien geboren wurde, die produktivsten Jahre ihres Lebens verbracht. Nach ihrer Dissertation an der Universität Wien war sie 1907 in die deutsche Metropole gezogen, weil sie in Österreich "sehr wenig Aussicht als Mädchen" in der Wissenschaft sah. Ursprünglich hatte sie einen Studienaufenthalt von ein oder zwei Jahren im Sinn, schließlich wurden 31 daraus.

So progressiv Berlin in wissenschaftlicher Hinsicht ist, so rückschrittlich ist Preußen in puncto Frauenstudium. Erst 1908 wird Frauen das Recht auf ein Studium eingeräumt, davor können sie nur sehr eingeschränkt und mit individueller Erlaubnis studieren. Einer ihrer ersten Wege in Berlin führt Lise Meitner daher zu Max Planck an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Sie braucht seine Zustimmung, um seine Vorlesungen besuchen zu können. Dass Planck dem Frauenstudium skeptisch gegenübersteht, weiß Lise Meitner nicht. Die Erlaubnis erhält sie.

Sie wird eine der ersten Professorinnen Deutschlands

Doch das reicht Lise Meitner nicht, sie will sich auch experimentell betätigen. Über den Physiker Heinrich Rubens lernt sie am 28. September 1907 den Chemiker Otto Hahn kennen, der an einer Zusammenarbeit interessiert ist. 50 Jahre nach der ersten Begegnung schreibt Meitner an Hahn: "Ich bat mir eine Woche Bedenkzeit aus, obwohl ich schon nach dieser Unterredung den Eindruck hatte, dass für meine weitere Ausbildung schon aus menschlichen Gründen eine Zusammenarbeit mit Dir günstiger sein dürfte als mit Ladenburg oder Rubens." So beginnt eine jahrzehntelange, wissenschaftlich äußerst ergiebige Freundschaft.

David Rennert, Tanja Traxler: "Lise Meitner. Pionierin des Atomzeitalters", Residenz Verlag, 224 Seiten, 24 Euro © Residenz Verlag

Ein wichtiger Karriereschritt erfolgt 1912: Max Planck ernennt Meitner zu seiner Assistentin und damit zur ersten Frau in dieser Stellung an einer preußischen Universität. Ihr Leben lang wird Lise Meitner dies als entscheidenden Wendepunkt in ihrer wissenschaftlichen Karriere sehen.

Während des Ersten Weltkrieges erhält Meitner im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Dahlem eine eigene Abteilung. Am 31. Juli 1919 wird ihr auch die gebührende akademische Anerkennung für ihre wissenschaftlichen Leistungen zuteil: Als eine der ersten Frauen Deutschlands wird ihr der Titel Professor verliehen.

Die Venia Legendi erlangt Meitner drei Jahre später, als sie sich als zweite Frau Deutschlands in Physik habilitiert. Der Titel ihrer Antrittsvorlesung im Oktober 1922 Die Bedeutung der Radioaktivität für kosmische Prozesse wird von einem schlampigen Journalisten zu "kosmetische Prozesse" umbenannt – eine Frau in der Physik ruft offenbar eine solche Assoziation hervor. Meitner amüsiert sich noch Jahre später über den Fauxpas.